Heimatlos

Heimatlos

Ein letztes Mal strich Ludwig über den makellosen Lack des Trucks. Das flammende Schwert in der Knochenhand leuchtete trotz des Dämmerlichts. Die Monster Car Jam heute hatte Spaß gemacht. Auch wenn er nicht gesiegt hatte, war er mit seiner Performance sehr zufrieden. Er zog die Garagentür zu, unschlüssig, wie er den restlichen Abend verbringen sollte.

»Hey, Ghostwarrior, sollen wir dich mitnehmen? Wie wär’s mit einem Absacker – einen oder zwei mit auf den Weg? «

Neben Ludwig hielt ein aufgemotzter Audi. Bässe dröhnten heraus, ein Schwall billiges Parfum und Schweiß hüllte ihn ein. Sein Wolf knurrte unhörbar.

Der Sieger des letzten Rennens grinste aus dem offenen Fenster zu ihm hinauf. Gönnerhaft fügte er hinzu: »Geht auf mich, warst ja immerhin zweiter!«

»Aber du bist Erster«, gackerte eine junge Frau, die sich auf dem Beifahrersitz räkelte. »Genau, du bist der Beste.«, zwitscherte eine andere vom Rücksitz.

Sofort spürte Ludwig die Abneigung seines Wolfes gegen die Enge im Auto mit den Frauen, die zu aufdringlich waren.

»Danke, Mann«, erwiderte Ludwig. »Hab noch was zu erledigen.« Bedeutungsvoll wackelte er mit den dichten Augenbrauen.

»Na dann nicht. Wer nicht will hat schon, sag ich immer.« Der Typ gab Gas und Ludwig hörte nur kurz das Kichern der Frauen.

Stille senkte sich auf die leere Straße und Dunkelheit. Links und rechts gab es zwar genügend Hochhäuser, deren Fenster erhellt waren. Aber es war niemand zu sehen.

»Wo willst du hin?«, fragte er seinen Wolf in Gedanken. Unschlüssig sah er sich um. Hier im Passauer Westen gab es keine Kneipen. Wenn er auf ein Bier wollte, musste er in die Altstadt laufen. Sein Truck sollte in der Garage bleiben, für die Nacht war weiterer Schnee angesagt. Erst neulich hatte er sein letztes Geld in das Tuning des Trucks investiert, er konnte sich keinen Unfall leisten.

Andererseits klang ein wenig laufen nicht schlecht, denn sein Wolf war rastlos. Einzelne Schneeflocken rieselten vom grauen Himmel. Ludwig stiefelte los, bog in die Neuburger Straße ein. Jetzt fuhren Autos an ihm vorbei. Die grellen Scheinwerfer blendeten ihn. Deshalb suchte er eine Abkürzung hinunter an den Inn. Setzte seinen Weg am wenig beleuchteten Innkai fort.

Genau die richtige Umgebung für mich, dachte er bitter.

Ein dunkler, schmutziger Weg, nur er ganz allein. Wo sollte er auch hin? Zurück zum Clan, wo ihn keiner haben wollte? Gestern war Mittwinter. Erst in letzter Sekunde hatte ihm die Alpha Bescheid gegeben, dass sie dieses Jahr in Salzburg feierten. Sie wusste genau, dass er es nach dem Contest nicht mehr rechtzeitig bis Salzburg schaffte. Tja, mit der Geburt ihres ersten Babys, hatte sich für die Alpha alles geändert. Das Schlimmste war, dass Ludwig ihr Vorgehen verstand. Kinder waren selten bei Werwölfen. Obwohl er auf der untersten Stufe der Rudelhierarchie stand, wäre der Schutz des Neugeborenen die perfekte Aufgabe für ihn. Nur zu gern hätte er diese Pflicht übernommen, doch der Gefährte der Alpha ließ niemanden an das Baby heran. Ihn am allerwenigsten.

Es wird Zeit, dass ich mir einen neuen Clan suche, dachte er. Denn auf keinen Fall wollte er ein Freier werden. Ludwig liebte das Leben im Rudel, die Geborgenheit und die Gemeinschaft. Um so mehr schmerzte ihn die Ablehnung, die er erfuhr. Am liebsten hätte sein Wolf geheult.

So in Gedanken erreichte er die Innbrücke, überquerte die Innstraße und steuerte auf die Theatertreppe zu. Er hatte einen Wolf vom »Oger« reden hören, dort wollte er sich ein paar Bier genehmigen. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, lief er hinauf. Blieb dann stehen, um sich zu orientieren. Die Gassen Passaus waren festlich beleuchtet, fast zu hell für seine empfindlichen Wolfsaugen. Die Menschen hüllten sich in ihre dicken Mäntel und hasteten mit gesenktem Kopf an ihm vorbei. Der Schneefall hatte zugenommen, ein eisiger Ostwind fegte durch die Straßen.

Laute Gespräche, Musikfetzen, der Geruch nach Punsch, Bier, gebratenen Würsten und Brot drangen auf ihn ein. Richtig! Am Domplatz fand der Christkindl Markt statt. Aber anstatt sich durch die Menge zu quetschen, flanierte Ludwig außen herum. Wich zwei Wölfinnen aus, die sich untergehakt hatten und zielstrebig auf den Platz zuhielten.

»Beeil dich!«, hörte er sie sagen. »Ich hoffe, Tom und Tamara haben einen guten Platz ergattert.«

Ein Stich durchfuhr sein Herz. Die Wölfin sprach wohl vom Clan von Bayern, von dem er bereits viel gehört hatte. Missmutig spazierte er weiter.

Reiß dich zusammen!, ermahnte er sich. Deine Zeit wird kommen.

Wenige Minuten später erreichte er den »Oger«.

Wärme empfing ihn, der Geruch nach frischem Bier und gutem Essen.

Wie immer, wenn er alleine in einem Lokal war, setzte er sich an den Tresen. Er bestellte ein Weizen und wippte im Takt der Musik mit.

»Carol of the bells«, dröhnte durch den Raum. Ludwig hörte Bad Wolves gerne.

»Gibt’s heute keine Livemusik?«, fragte er die Barkeeperin, als sie ihm das Weizen brachte.

»Gestern war die große Mittwinterfeier in Salzburg. Da waren die meisten Bands auch dabei. Deshalb läuft heute Spotify.«

»Metal Christmas – genau mein Geschmack. Ich bin Ludwig und wie heißt du?« Mit dem treuherzigen Augenaufschlag, von dem er wusste, dass er den Frauen gefiel, stellte er sich vor.

»Ich heiße Kathy. Neu in der Stadt?« Das schmale Gesicht der Kellnerin hellte sich auf.

»Ja, ich bin beim Monster Car Zirkus dabei.«

Zu seinem Leidwesen rief einer der Wölfe am hinteren Tisch nach Kathy. Normalerweise verfehlte der Hinweis auf Monster Car Rennen nie die Wirkung bei Frauen.

Kathy war einige Zeit beschäftigt, die Getränke für die große Runde zu mixen und zu servieren. Schließlich zwinkerte er ihr zu und deutete auf das fast leere Weizenglas.

»Noch eines?«, fragte sie mit geschmeidiger Stimme. Sein Grinsen vertiefte sich.

»Ist ziemlich kalt draußen.« Darauf bedacht die Muskeln angespannt zu halten, rieb sich über die bloßen Unterarme. »Ich brauch noch einen Absacker für den Heimweg.«

»Du musst schon nach Hause?« Sie zog einen Schmollmund. Wer war auf die Idee gekommen, eine Nymphe als Barkeeperin anzustellen?, fragte er sich. Kathy trug einen in allen Regenbogenfarben changierenden Minirock und ein bauchfreies Korsett, das vorne geschnürt war. Er genoss den traumhaften Ausblick.

»Nachschub kommt gleich.«

»Keine Eile«, Ludwig stützte sich auf die Theke, weil er so einen besseren Blick auf die langen schlanken Beine hatte. Ohne Probleme balancierte Kathy auf zehn Zentimeter hohen High Heels.

Kathy stellte ihm das frisch eingeschenkte Weizen hin und musste gleich weiter, um die Bestellung an einem anderen Tisch aufzunehmen.

In diesem Augenblick wurde die Tür geöffnet, ein Schwall eiskalter Luft wehte herein.

Der neue Gast war eine Wölfin. Was er ohne Umdrehen sah, denn ein großer Spiegel bedeckte die Wand ihm gegenüber, gleich oberhalb der Theke.

Suchend sah sie sich um. Ihre Bewegungen hatten etwas Katzenhaftes an sich. Sofort bemerkte er die mandelförmigen türkis farbenen Augen, ungewöhnlich für eine Werwölfin. Genau wie ihr zierlicher Körperbau. Sie reichte ihm gerade mal bis zur Schulter. Was er sehr anziehend fand. Nussbraune Locken ergossen sich über ihren Rücken. Jetzt schälte sie sich aus dem Parka. Sie trug eine enge, elegante dunkle Hose, die ihre sportliche Figur betonte. Darüber ein weit geschnittenes, cremefarbenes Hemd, unter dem ein weißes Spitzentop hervor blitzte. Eine lange Kette mit einem ungewöhnlichen schwarzen Anhänger vervollständigte ihr Outfit. Eine klasse Frau, sie passte so gar nicht in das rustikale Ambiente des Oger.

»Das ist Andrea Berg. Sie gehört zum Clan von Bayern. Wirklich eine tolle Frau, aber Achtung Cowboy, die ist nicht leicht zu haben«, wisperte Kathy hinter vorgehaltener Hand und schmunzelte. Klitzekleine pastellfarbige Luftblasen entwichen ihrem Mund. Aus Erfahrung wusste Ludwig, dass man von diesen Blasen, wenn man sie einatmete, für Stunden high wurde.

Normalerweise hätte er sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Aber gerade jetzt rückte die Wölfin das Top zurecht. Ja, sie hatte eine himmlische Figur. Alles was man brauchte am richtigen Platz. Fieberhaft überlegte er, wie er sie ansprechen sollte. In dieser Hinsicht war er ja wahrlich kein Anfänger. Zuerst setzte er sich aufrecht hin, um den flachen Bauch zu betonten, fuhr sich durch das kurze blonde Haar und den Spitzbart.

Jetzt galt es, denn Andrea kam auf ihn zu. Nein, nicht auf ihn, sondern auf die Theke. Lässig lehnte sie sich dagegen und lächelte die Kellnerin an.

»Servus, Kathy. Einen Aperol Spritz und die Curry Wurst bitte.«

Er setzte an, etwas zu sagen, tausend Ideen wirbelten in seinem Gehirn herum. Aber aus seinem Mund kam kein einziges Wort! Stattdessen starrte er auf die Stupsnase und die vollen Lippen und überlegte, wie es wäre, sie zu küssen.

Nun drehte sie sich weg, lächelte ihn sogar kurz an und schlenderte zu einem schmalen Tisch in einer Nische.

»Schade, war eine gute Gelegenheit. Ich glaube nicht, dass noch eine kommt.« Kathy klimperte mit den langen Wimpern, dann verschwand sie in der Küche, um die Bestellung aufzugeben.

Was geschah mit ihm? Sein Mund war trocken, seine Hand schweißnass. Sein Herz raste, als hätte er eben einen Marathon gelaufen.

»Reiß dich zusammen!«, befahl er sich selbst.

Sein Handy vibrierte.

»Kommst du diese Woche nochmal nach Hause? Wolfgang hat einen Freund eingeladen, der will in deinem Zimmer schlafen.« Eine Nachricht von Wolfgang, dem Leitwolf und Partner der Alpha.

Kein Gruß, keine Emojis – am liebsten hätte Ludwig das Handy quer durch den Raum gepfeffert. Offensichtlich drängte er ihn aus dem Clan.

»Kann er haben«, schrieb er kurz zurück.

Es kam keine Antwort.

Die Tür zur Küche klappte auf. Beim Geruch nach frisch gebratenem Fleisch und Würsten lief ihm das Wasser im Mund zusammen.

»Der Grillteller für Tisch 6 und die Currywurst.« Der Koch stellte das Essen vor Kathy ab und verschwand wieder in der Küche.

Spontan griff Ludwig nach dem Teller mit der Currywurst.

»Ich helf dir. Damit du nicht so hart arbeiten musst.«

»Wenn du meinst, hab nichts dagegen. Meine Schicht geht nur noch eine halbe Stunde.« Sie errötete.

Die Nacht mit ihr versprach Aufregung. Vor einigen Jahren war er schon einmal mit einer Nymphe im Bett gewesen. Normalerweise würde er ohne zu zögern auf ihr Angebot eingehen. Wäre da nicht die Wölfin mit den grünen Augen.

Statt einer Antwort rutschte er mit dem Teller in der Hand vom Barhocker und stolzierte mit wiegenden Hüften an ihren Tisch. Er wusste, wie die Levis seinem Hintern schmeichelte.

Mit hochgezogenen Augenbrauen erwartete Andrea ihn. Ein spöttischer Zug spielte um die vollen Lippen.

»Das beste Essen im Oger, für die schönste Frau im Lokal.« Mit einem tiefen Blick stellte Ludwig den Teller ab. Allmählich kehrte er zur alten Form zurück. Das gab ihm Selbstvertrauen.

»Bist du der Neue?«, spottete sie und packte das Besteck aus.

Ohne zu fragen, drehte Ludwig den freien Stuhl um, setzte sich rittlings darauf. Er legte die Arme auf die Lehne, was ihm natürlich ermöglichte, seine breiten Handgelenke mit dem dicken Lederarmband zur Schau zu stellen. Amüsiert stellte er fest, wie sich ihre Atmung beschleunigte. Sein Wolf regte sich und witterte. Genau, auch ihre Wölfin war erwacht.

Als sie ihre Wölfin zurückdrängte, runzelte sie die Stirn.

Schade. Es wurde Zeit, härtere Geschütze aufzufahren.

»Ich bin der Ludwig und heute Abend deine Begleitung.« Bewusst fuhr er sich durch die Haare, denn die leicht verstrubbelte Frisur stand ihm gut. Selbstbewusst präsentierte er sein bestes Lächeln.

Was die Wirkung auf Andrea nicht verfehlte. Für einen Moment wurde ihr Blick glasig. Sie betrachtete seine Oberarme und die schmale Taille. Dann schüttelte sie den Kopf. Sie spießte ein Pommes auf.

»Was macht ein Freier in Passau? Hast du dich schon bei Jack gemeldet?«

Zwar bemühte sie sich, ihren Ton sachlich zu halten. Dennoch entging ihm nicht, dass ihre Wölfin interessiert war.

»Ich bin kein Freier«, setzte er an. »Ich gehöre zum Clan von Murnau. Zur Zeit arbeite ich im Monster Car Zirkus. Der gastiert über Weihnachten hier in Passau.«

Obwohl, bei genauerer Betrachtung, wäre es besser ein Freier zu sein. Im Clan vermisste ihn keiner.

Zwei, drei Bissen später sah Andrea ihn prüfend an. Ihre Neugier überwog.

»Monster Cars?«

»Jep, Ghostwarrior, das bin ich.« Er drückte den Rücken durch und deutete mit dem Daumen auf sich. Holte sodann sein Handy heraus, das definitiv schon bessere Zeiten gesehen hatte. Rasch scrollte er durch die Galerie.

»Hier …«, er zeigte ihr das Display. Auf den Fotos war sein Truck zu sehen. Auf der Motorhaube sah man ein finster dreinblickendes Skelett, das ein brennendes Schwert hielt.

»Okay, sieht cool aus.« Anerkennend nickte sie ihm zu.

Akribisch schnitt sie die Wurst klein, spießte sie zusammen mit einem Pommes auf.

»Also willst du ein Interview. Deshalb bist du hier.«

Für einen Augenblick verschlug es ihm die Sprache.

»Wieso?«

Sie deutete mit der Gabel auf den Presseausweis an ihrer Jacke.

Andrea arbeitete bei einer Zeitung! Er schüttelte den Kopf, lachte kurz auf.

»Nein. Ich wusste gar nicht, dass du Journalistin bist. Obwohl klug und schön, ich hätte es mir denken können.«

»Oh Mann, du trägst wirklich dick auf.« Vergeblich versuchte sie zu verstecken, dass ihr das Kompliment gefiel.

»Die Wahrheit muss man sagen«, konterte er. »Hat mir meine Mama beigebracht.« Treuherzig blinzelte er ihr zu und ließ seinen Blick vielsagend über ihre Figur schweifen, ohne aufdringlich zu wirken.

Jetzt hatte er wirklich ihr Interesse geweckt. Zum ersten Mal lächelte sie ihn direkt an.

»Du bist schon einer«, schmunzelte sie.

Ohne Eile aß sie weiter. Fasziniert beobachtete er, wie das sorgfältig geschnittene Essen zwischen den sinnlichen Lippen verschwand.

Er schluckte, sein Bauch kribbelte. Gleichzeitig zeigte ihm sein Körper sehr deutlich, wie attraktiv er sie fand.

»Wann ist die nächste Vorführung?«, fragte sie, nachdem sie das Essen mit einem großzügigen Schluck Aperol-Spritz beendet hatte.

»Morgen Abend um fünf. Aber wenn du willst, zeige ich dir das Auto gerne auch schon heute Abend.«

»Nein, daraus wird nichts.« Energisch schüttelte sie den Kopf. Schob eine vorwitzige Locke hinter das Ohr.

War er zu weit gegangen? Denn ihr Gesicht verschloss sich, ihre Lippen waren zu einem dünnen Strich gepresst.

»Sorry, war nur ein Angebot«, verteidigte er sich lahm.

»Brauchst du Freikarten?«, legte er nach. Bemüht, die Schlappe wieder gutzumachen,

»Nein, danke. Die Presse kommt meistens ohne Karten rein.«

Ihr Handy vibrierte. Sie las die Nachricht, zog die Nase hoch.

»Hör mal, nichts für ungut, Ludwig. Ich hab noch einen Termin. Deshalb muss jetzt los. Ciaou.« Sie schob den Stuhl zurück.

»Willst du um diese Zeit allein losziehen? Du brauchst doch sicher einen kräftigen Begleiter.« Vielsagend ließ er die Armmuskeln spielen. Die endlosen Stunden im Gym zahlten sich aus.

»Ich brauche keinen Beschützer«, hielt sie dagegen. Wobei sie den Blick langsam über seinen Körper wandern ließ.

Als sie nach ihrer Jacke griff, war er schneller.

Er nahm die Jacke und half ihr hinein.

»Vollendeter Gentleman«, spottete sie. Sie tat lässig, dabei genoss sie die Aufmerksamkeit.

»Hier …«, sie kramte in ihrer Tasche und hielt ihm eine Visitenkarte hin.

Rasch nahm er sie entgegen.

»Ist das deine Handynummer?«, fragte er hoffnungsvoll.

»Nein, das ist mein Bürohandy. Ich seh mir morgen deine Monster Karre an. Dann entscheide ich, ob du meine Nummer bekommst.«

Obwohl ihr Tonfall eher berufsmäßig kühl klang, schenkte sie ihm einen langen Blick aus ihren Katzenaugen.

»Dann wärs besser, du würdest sie mir gleich geben – mein Ghostcar ist spitze! So ein Tuning hast du noch nie gesehen!« Gewinnend lächelte er sie an.

»Mal sehen! Bis morgen.« Spielerisch schlug sie ihm auf die Schulter und er tat, als würde er zusammen zucken.

»Ciao Kathy« schon war hinaus gegangen.

Die Tür schloss sich. Mit einem Mal kam Ludwig das Lokal fade vor, so als hätte Andrea alle Farben und die Wärme mitgenommen. Was für Zeug dachte er? Innerlich schüttelte er über sich selbst den Kopf. Seufzend trottete zu seinem Platz zurück.

»Ich hab dich gewarnt«, begrüßte Kathy ihn. »Andrea ist nicht leicht zu haben. Noch ein Weizen gegen den Schmerz?«

»Ja, bitte.« Unschlüssig überlegte er, wie er den restlichen Abend verbringen sollte. Sein Wolf wurde rastlos, wollte raus, laufen und jagen.

Er trank das Bier aus und zahlte. Obwohl Kathy ihm bedeutete, dass er mit ihr hätte gehen können, fehlte ihm dazu nun die Lust.

Eisiger Ostwind empfing ihn. Er schlug den Mantelkragen hoch und marschierte los. Trotz der Kälte regte sich sein Wolf. Die frische Luft brachte viele Gerüche mit sich. Der Gestank von Rattenkot und menschlichen Ausscheidungen, typisch für die Stadt. Der eiskalte Inn schreckte ihn ab. Dagegen lockte der Wald mit seinen Bewohnern. Kurz erwog Ludwig, dem Stadtpark einen Besuch abzustatten und seinen Wolf laufen zu lassen. Oder wäre es besser, die Hängebrücke zu überqueren und entlang der Ilz zu jagen? Unentschlossen blieb er stehen, orientierte sich. Nein, es war zu spät für die Jagd, er musste morgen fit sein. Am besten lief er zurück zum Auto und schlief darin.

Wäre nicht das erste Mal, dachte er. Wenigstens würde er in der Garage nicht frieren.

Er erreichte die menschenleere Fußgängerzone. Bei dieser Kälte blieben die Menschen lieber in ihrem warmen Zuhause.

Hilfe!

Abrupt stoppte er. Hatte er soeben einen mentalen Hilferuf eines Wolfes empfangen?

Um besser zu hören, hielt er die Luft an. Ließ sogar seinen Wolf ein wenig weiter an die Oberfläche. Aber außer den Geräuschen der nächtlichen Stadt vernahm er nichts.

Wahrscheinlich hatte das Alleinsein einen schädlichen Einfluss auf mich, dachte er bitter. Ludwig stapfte weiter. Schneeflocken rieselten vom dunklen Himmel. Schnell waren die Straßen und Gehwege weiß überzuckert.

Hilf – hilf mir!

Beinahe wäre er gestolpert.

Eindeutig ein mentaler Hilferuf, kurz, gehetzt und weiblich! Sein Wolf richtete sich auf, knurrte.

Ausgerechnet jetzt verließ ein knutschendes Pärchen eine Bar. Laute menschliche Stimmen drangen auf ihn ein. Hektisch drehte sich Ludwig im Kreis, lief ein paar Schritte, um die Gespräche der Menschen nicht mehr zu hören.

Wo bist du?, sandte er aus.

Stille

Hatte er sich getäuscht?

Hilf!

Die Wölfin litt Schmerzen!

Verzweifelt drehte sich Ludwig im Kreis, horchte und orientierte sich. Die vielen Lichter und die hell erleuchteten Auslagen der Geschäfte störte ihn.

Ich komme!, übermittelte er, hoffend auf eine Antwort.

Schnell!

Endlich ortete er sie. Eine Werwölfin, die Angst und Schmerzen hatte! Sein Herz schlug wie verrückt, die Stimme hatte panisch geklungen. Wer war so wahnsinnig, eine Wölfin zu überfallen?

Er spurtete los, zurück in die Altstadt. Trotz der Anspannung jubelte sein Wolf, als er endlich loslief. Stets bereit, auf einen neuen Hilferuf zu hören. Der nicht kam. Die Angst, zu spät zu kommen, trieb ihn zu immer schnellerem Tempo an.

Ludwig passierte das alte Stadttor, roch die Donau rechts von ihm.

Als er in einer engen Kurve auf den Residenzplatz einbog, schlitterte er über den eisigen Gehweg. Suchend blickte er sich um. Beruhigte seinen Atem und ließ den Wolf wieder ein wenig an die Oberfläche. Dort, neben der Dombauhütte sah er sie.

Sein Herz gefror zu Eis. Da war Andrea, umringt von vier Ausgestoßenen! Ihr Parka war zerrissen, Blut sickerte von ihrer Stirn. Sie hielt sich den Arm, wankte. Blind schlug sie um sich. Unbändiger Zorn wallte in ihm hoch.

Verfluchtes Saugerpack!

»Hey, verpisst euch!«, brüllte er und rannte näher.

Der fiese Gestank nach Lösungsmitteln, Benzin und Rauch verpestete seine empfindliche Nase. Seine Nackenhaare sträubten sich. Ausgestoßene! Jene Gruppe von Vampiren, die von Ecstasy abhängig waren und für den nächsten Schuss alles riskierten.

»Halt!«

Einer der Vampire, der kräftigste unter ihnen, zerrte Andrea zu sich. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie schwankte, ihr Blick glitt ins Leere.

Jetzt begriff er: Sie hatten ihr Ecstasy gespritzt! Seine Wut kannte keine Grenzen. Am liebsten hätte er sich gewandelt und sich auf die Sauger gestürzt. Aber er musste sich an die oberste Maxime halten: Secretum Cela – wahre das Geheimnis. Jeden Augenblick konnten Menschen vorbei kommen – und die Existenz von Werwölfen und Vampiren wäre nicht mehr geheim. Der Rat würde ihn sofort töten.

Den Ausgestoßenen war das sichtlich egal. Fangzähne blitzten im trüben Licht der Straßenlampe einige Meter weiter.

Zu Ludwigs Entsetzen hielt der Sprecher eine Spritze in seiner Hand und presste die Spitze an Andreas Hals.

Furcht schnürte ihm die Kehle zu. Gänsehaut fuhr über seinen Rücken.

»Keine Ahnung ob das Schätzchen noch eine Dosis verträgt. Hat schon drei intus und ist immer noch nicht zahm. Verfluchte Wolfsschlampe!«

Während er sprach, sprühte ein feiner Nebel von Spucke in die kalte Luft und kondensierte dort. Ecstasy hatte bereits einige seiner Zähne verfaulen lassen.

Übelkeit überfiel ihn bei dem Gedanken, wie das Gift in Andreas Körper wütete. Selbst eine Wölfin vertrug nicht unbegrenzt Drogen, zumal in so kurzer Zeit.

»Gib sie frei! Und zwar schnell!« Mehr vermochte er nicht zu sagen. Vor Wut bebte sein ganzer Körper, mit aller Macht hielt er seinen Wolf zurück. Immer wieder ballte er die Fäuste.

»Sonst was?« Der zweite Vampir lachte hämisch. »Bist doch selbst ein Freier! Ich kenn dich nicht, oder du Kilian? Kein Schutz durch den berühmten Clan von Bayern!«

Kilian, der Anführer der Bande, feixte. Obwohl das bei ihm schaurig aussah. Er war grau im Gesicht, die Wangen eingefallen, seine Stirn zierte ein nässender gelblicher Ausschlag.

»Macht ihn fertig!«, befahl Kilian.

Zu zweit rückten die Vampire vor. Ihre Augen glühten rot wie Rubine. Aus den Fingern wurden lange spitze Krallen.

»Wird ein Spaß das Wölflein aufzumischen!«

Dies war nicht seine erste Auseinandersetzung mit Vampiren, deshalb blieb er vorsichtig. Zwar waren die Ausgestoßenen wegen ihrer Sucht nicht mehr so übernatürlich schnell wie normale Vampire. Trotzdem unterschätzte er sie nicht. Vor allem, da sie zu zweit waren.

Andrea wimmerte. Kraftlos schlug sie nach dem Kerl, der sie weiterhin umklammert hielt. Blut tropfte von ihrem Hals, weil dieser ebenfalls seine Krallen ausgefahren hatte, die in die zarte Haut ihres Halses stachen. Seine Augen glühten feuerrot.

»Erledigt ihn. Ich will hier weg!«

Die Spritze in seiner Hand zitterte.

Jetzt galt es schnell zu sein. Wahrscheinlich brauchte Kilian eine neue Dosis. Wenn er sich nicht mehr in der Gewalt hatte, weil die Entzugserscheinungen einsetzten, sanken Andreas Chancen gegen null.

Er war abgelenkt. Nur für einen kurzen Augenblick. Aber seine Gegner hatten ihn genutzt. Der erste Vampir hatte ihn umrundet, ein mörderischer Schlag traf seine Nieren. Greller Schmerz fraß sich durch seine Eingeweide. Der zweite Vampir nutzte aus, dass sich Ludwig krümmte. Er donnerte auf seinen Nacken ein. Ludwig knallte auf den Boden. Sterne umkreisten ihn.

Das war zu viel, sein Denken versagte. Instinkt übernahm die Kontrolle. Mit einem Wutschrei schüttelte er sich. Sein Wolf bekam die Oberhand.

Die Vampire fiepten. Es hörte sich furchtbar laut an. Er wirbelte herum, biss in den den Vampirkörper, der sich ihm bot und riss an. Der Benzingestank verstärkte die Wut seines Wolfes. Um mehr Platz für den nächsten Angriff zu haben, sprang er etwas zurück. Sein Wolfskörper verunsicherte die Sauger.

»Los! Beeilt euch!«, keuchte Kilian.

Ludwig witterte dessen Angst. So war es recht. Er wartete nicht ab, stürzte sich auf denjenigen, den er bereits verletzt hatte. Im Sprung warf ihn um. Biss in die Kehle und riss daran. Blut, vermischt mit jeder Menge Drogen schoss heraus.

Für Ekel war später Zeit. Als Wolf spürte Ludwig genau, wie Andrea litt. Ihr Herzschlag verlangsamte sich, rasselnd rang sie nach Luft. Sie brauchte Hilfe!

Der zweite Angreifer hatte sich ebenfalls gewandelt. Eine übergroße Fledermaus stieß auf ihn herab. Ludwig duckte sich, sammelte Kraft und drückte sich ab. Seine ausgestreckte Pfote erwischte einen ledrigen Flügel und zerfetzte ihn. Der Vampir heulte auf, schlug hart auf dem Boden auf. Mit einem Satz war Ludwig über ihm. Der Gestank eines Chemielabors mischte sich mit dem nach Verwesung. Knurrend biss Ludwig ihm die Kehle durch. Der Vampir erzitterte, sein Körper verschwamm und hinterließ nur ein Aschehäufchen. Sofort wirbelte Ludwig herum, denn der erste Vamp keuchte heiser. Der verfluchte Sauger war dabei zu heilen! Voller Wut stürzte er sich auf ihn und riss ihm mit nur einem Biss den Kopf ab. Sofort zerfiel der Vampir zu Asche.

»Nein!« Wie ein verletztes Tier heulte Kilian auf.

»Das wirst du mir büßen!« Krallen bohrten sich in Andreas Hals, die mit leerem Blick stöhnte. Kilian hob die Spritze.

Entsetzt bemerkte Ludwig, dass er zu weit von Kilian entfernt war. Würde er es schaffen? Aber die Verzweiflung gab ihm ungeahnte Kräfte. Er drückte sich ab und sprang. Überdeutlich nahm er die Spitze der Spritze wahr, die sich bereits durch die dünne Haut von Andreas Hals bohrte. Die dreckigen Finger von Kilian, die sich krümmten, um die Spritze zu entleeren.

In diesem Augenblick erreicht er den Mistkerl. Seine Pfote mit den Krallen durchpflügte Kilians elendiges Gesicht. Ludwigs verbiss sich in Gregors Hals. Dieser keuchte auf. Stieß Andrea von sich, die wimmernd zu Boden ging.

Schmerz blühte in Ludwigs Flanke auf, das nur von Silber stammen konnte. Egal. Er knurrte und riss weiter Fleisch aus Kilians Seite. Sterne tanzten vor seinen Augen. Kälte kroch wie eine gierige Schlange durch seinen Körper. Eine ungeheure Schwäche breitete sie in ihm aus. Sein Maul zitterte, er musste loslassen. Angewidert stieß Kilian ihn von sich.

»Ist zu spät für dich! Hast gekriegt, was du verdient hast, elender Köter!«, zischte er. Blut lief aus der Wunde an der Kehle. Ludwig winselte. Warum konnte er sich nicht wandeln? War die Straßenlampe erloschen? Die Umgebung wurde dunkler. Kilian holte eine Pistole heraus, wahrscheinlich mit Silbermunition gefüllt. Dagegen hatte er keine Chance, er war erledigt.

In diesem Augenblick fegten zwei Schatten heran. Ein großer Wolf stürzte sich auf Kilian und brach ihm das Rückgrat. Ein Aschehäufchen war alles, was von ihm übrig blieb. Der Andere entpuppte sich als junger Mann, der sich mit besorgtem Gesichtsausdruck über Andrea beugte. Ludwig knurrte und robbte näher an sie heran. Er hatte sich beschützt, niemand kam an ihm vorbei.

»Ist gut. Ich helfe zuerst ihr und dann dir.« Die Stimme klang vertrauensvoll.

Trotzdem. Seine Aufgabe bestand darin, Andrea zu beschützen. Ein tiefes Grollen wand sich aus seiner Brust. Wenn ihn die Seite nicht so schmerzen würde, würde er sich aufrichten und …

Eine Hand packte ihn am Nacken. Damit verbunden traf Ludwig eine Präsenz, die Autorität ausstrahlte.

»Ich zieh jetzt den Wurfstern aus deiner Seite. Wir helfen dir. Bleib ruhig!«

Ein Leitwolf, kein Zweifel. Auch wenn Ludwig nicht zu seinem Rudel gehörte, war mit dem Befehl so viel Macht verbunden, dass er sich nicht dagegen wehren konnte. Die Hand an seinem Nacken drückte ihn nieder. Der Schmerz wütete ungebrochen in ihm. Ludwig winselte.

Mit einem Mal klang der Schmerz ab, machte einer dumpfen Erschöpfung Platz.

»Der Wurfstern ist weg. Wandle dich jetzt!«

Mit etwas Mühe setzte sich Ludwig in menschlicher Gestalt auf.

Jack, der Leitwolf des Clans von Bayern, blickte mit gerunzelter Stirn auf ihn herunter.

»Wie heißt du?«

»Ich bin Ludwig«, er hustete kurz. Seine Seite schmerzte. »Vom Clan in Murnau.«

»Danke für deine Hilfe!« Jacks Kinn deutete auf Andrea.

Der Heiler hatte sie hochgehoben und trug sie davon. Sofort drückte sich Ludwig hoch, überzeugt Andrea besser zu tragen als der.

»Mal langsam, Kleiner.« Mühelos fing Jack ihn ab. »Warum bist du hier?«

Obwohl er sich lieber um Andrea kümmern wollte, erklärte Ludwig, was ihn nach Passau führte und dass er keine Unterkunft hatte.

»Sie fragt nach ihm!« Weit klang die Stimme des Heilers durch die Nacht.

»Na gut, dann fahr mit!«, bestimmte Jack.

Die Trucks standen kreuz und quer über den Residenzplatz verteilt. Der Heiler, Phil, bettete Andrea auf die Rückbank. Ungefragt quetschte sich Ludwig dazu, hielt ihren Kopf auf seinem Schoß. Sein Wolf witterte und registrierte beruhigt, dass sie atmete. Ihr Herz schlug kräftig. Plötzlich griff sie nach seiner Hand, drückte sie leicht. Flatternd öffneten sich die Augen, funkelte ihn an.

»Du tust wohl alles für ein Interview, oder?« Ihre Stimme brach. Eine Träne löste sich.

»Auf jeden Fall. Und wenn es darum geht, ein paar Vamps den Hintern zu versohlen, bin ich der Richtige!«

Vorne im Auto stöhnten Jack und Phil gleichzeitig theatralisch auf.

Andrea prustete los, hustete und hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Seite.

»Keine Scherze mehr!«, befahl Phil.

Die ganze Fahrt über ließ Ludwig ihre Hand nicht los, glücklich, dass sie überlebt hatte.

Erst als sie kurz vor dem Ziel abbogen, richtete er sich auf. Würde man ihn aufnehmen?

Beeindruckend sah das Clanhaus aus. Eine zweigeschossige Lodge aus dunklem Holz kam in Sicht. Sie war in den Wald hineingebaut – nein – sie war ein Teil des Waldes, trotz der weiß gestrichenen Wände. Sogar die rotbraunen Dachschindeln passten sich der Farbe der Blätter an. Tief herabgezogen schützte das Dach die Veranda, die sowohl im Erdgeschoss, als auch im ersten Stock das Gebäude umrundete. Raumhohe Glasfronten warfen das Licht der untergehenden Sonne zurück. Kräftige Holzsäulen trugen das Haus, zu dem eine breite Treppe hinaufführte. Mehrere Wölfe warteten unruhig auf sie.

»Es ist alles in Ordnung!« Jack war als erster ausgestiegen. »Andrea ist verletzt, aber Phil sagt, sie wird wieder gesund.«

Zwei Wölfinnen atmeten hörbar aus. Eine von ihnen war die Alpha. Hochgewachsen, schlank.

»Danke, Jack! Ich hab mir wirklich Sorgen gemacht!«

»Das war nicht ich, Helen. Ludwig hat sie gerettet.«

Jack hielt ihm die Tür auf. Unsicher stieg Ludwig aus. Wenn die Alpha nein sagte, würde er sofort wieder umkehren.

Helen musterte ihn aus tiefblauen Augen.

»Hallo«, seine Stimme klang belegt. »Ja, ich heiße Ludwig«, vergeblich versuchte er seinen Charme aufzubringen. »Also, zur Zeit ist es ziemlich eng in meinem Clan. Und wenn ihr nichts dagegen habt, würd ich gern ein bisschen hier bleiben. Und sehen, wie es Andrea geht – und so …«

»Er hat mich gerettet.« Andreas Stimme klang gepresst. »Gib deinem Herzen einen Stoß, Helen.«

Diese atmete tief ein, dann hob sie die Arme.

»Na, von mir aus. Ein Wolf mehr schadet sicher nicht, solange die Ausgestoßenen so durchdrehen! Also willkommen im Clan von Bayern.«

Damit schien für sie die Angelegenheit erledigt. Sie drehte sich weg und wählte eine Nummer auf ihrem Handy.

Ein älterer Wolf kam durch die Tür. Ludwig spürte, dass er schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel hatte.

»Das ist Tom. Stell dich gut mit ihm. Er kocht phantastisch.« Freundschaftlich schlug Jack dem Alten auf die Schultern.

»Wenn nicht mitten in der Nacht immer alle abhauen würden, auf jeden Fall«, brummelte der. »Also, wie ist es Ludwig, hast du Hunger?«

»Und wie!« Ludwig strahlte. Wärme stieg in ihm hoch. So freundlich war er lange nicht mehr begrüßt worden.

Andrea wurde versorgt und auf ihr Zimmer gebracht. Ludwig ließ sich das Essen schmecken und bestand dann darauf, Andrea auch etwas zu bringen. Er ignorierte das Grinsen der anderen Wölfe, stieg die Treppe hinauf und klopfte an ihrer Zimmertür.

»Herein!«

Andrea saß im Bett. Mehrere Kissen im Rücken. Sie sah immer noch sehr blass aus.

Vorsichtig stellte Ludwig das Tablett ab.

»Soll ich dich füttern?«, grinste er sie an.

»So weit kommt es noch!«, sie strahlte ihn an. »Sie behalten dich also hier?«

»Jep. Einstweilen. Außer …«, er schluckte. »Außer du willst mich hier nicht haben.«

Andrea sah ihn lange an. Ihr Blick ging ihm durch und durch.

»So etwas ist mir noch nie passiert. Es ist, als würde meine Wölfin dich schon ewig kennen.«

»Mir geht es genauso. Als ich deinen Ruf erhielt, wär ich beinah ausgerastet, weil ich dich so lange nicht orten konnte.«

»Eben«, sie nickte ihm zu. »Wir haben uns nur einmal gesehen und du hast meinen Ruf empfangen. Ich denke, das hat etwas zu bedeuten. Lass uns sehen, wohin das führt.«

»Hört sich gut an für mich«, erwiderte er.

»Setz dich zu mir!« Andrea klopfte auf die Matratze. Sie wollte sich hochdrücken, um ein wenig zur Seite zu rutschen und verzog gequält das Gesicht.

Sofort legte er sanft seine Arme um sie und half ihr. Sog tief ihren Geruch ein, sein Wolf schnurrte. Eigentlich hätte er sie jetzt loslassen können, aber aus irgendeinem Grund gehorchten ihm seine Arme nicht mehr. Das Gefühl, sie sicher zu halten, überwältigte ihn.

Jetzt legte sie ihren Kopf an seine Schulter. Kein Zweifel, auch ihre Wölfin witterte ihn und war zufrieden. Sanft setzte er einen Kuss auf ihre Stirn, weiter auf die empfindliche Stelle an der Schläfe, dann hauchte er ihr ins Ohr: »Du bist das Beste, was mir jemals passiert ist. Ich bin immer für dich da.«

Andrea hob ihren Kopf, ihre Lippen trafen sich. Lust und Leidenschaft fluteten seinen Körper. Er stöhnte auf. Sein Wolf schnurrte, denn er spürte es genau. Hier war er angekommen, war zuhause. Es gab kein größeres Glück.

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