„Scathachs Ruhm“ aus Esmantés Jugend
Taucht ein in Esmantés Jugend auf der Silbernen Burg. Ihr kennt Esmanté nicht, die lebenslustige aber auch gefürchtete Schwertmeisterin aus den Tiranorg-Romanen?
In der Zwischenzeit hatten Mutters Freunde beschlossen, dass ich trainieren sollte.
»So haben wir dich besser im Auge«, wie Londo meinte. Offensichtlich war die Sache mit den Jungs zu ihnen durchgedrungen. Wie gesagt, Gerüchte und Neuigkeiten verbreiteten sich auf der Burg wie Bettwanzen in den Strohsäcken.
So stand ich also, so oft es ihr Dienst zuließ, in einem ruhigen Eck des Trainingsgevierts und übte. Das Gute daran war, dass ich abends so müde war, dass ich meist sofort einschlief und die quälende Grübelei ein Ende hatte.
Eines Tages machte ich mich mit Mira und Idena nach dem Training auf den Weg in die Schenke. Man muss dazu wissen, dass Grianan Aileach, die Silberne Burg, wie sie auch genannt wird, beileibe nicht nur aus der trutzigen Burganlage besteht. Vielmehr hatten schon vor ewigen Zeiten Elfen begonnen, sich in ihrem Schutz niederzulassen. So war eine Stadt entstanden, deren Häuser sich, eng an eng, immer hang aufwärts zur Burg hin flüchteten. Denn das Besondere an Grianan Aileach war die zweite Mauer, die den Fuß des Hügels umschloss. Übermannsgroß zog sie sich, mit Schießscharten nur im oberen Drittel, über die gesamte Länge der Anhöhe hin, unterbrochen nur von Wehrtürmen mit Zinnen und rundem Dach und bot so der Burg und seinen Bewohnern doppelten Schutz.
Die Burganlage selbst war noch einmal durch ein dickes hölzernes Tor von der Stadt begrenzt, dem unteren Burgtor, das wir nun passierten. Hier lagen die Stallungen und die Unterkünfte der Handwerker, die allein auf der Burg ihrer Arbeit nachgingen.
Da es kurz vor Sonnenuntergang war, beeilten sich die letzten Händler, ihre Waren zu packen und noch aus der Burg zu kommen. Denn mit Sonnenuntergang schloss nicht nur das Stadttor am Fuße des Hügels, sondern auch das untere Burgtor.
»Hier«, ein Junge mit einem Karren fuchtelte mit einem frischen Apfel vor meinem Kopf herum, »den kriegst du, wenn du mir ziehen hilfst.«
»Zieh selbst«, beschied ich ihm, »ich werd mal Kämpferin, du bist nur ein dummer Bauersjunge«, ich sprang nach vorne, entriss ihm den Apfel und macht, dass ich davon kam.
Leider hatte ich nicht mir der Schnelligkeit von Mira und ihrer Freundin gerechnet. Kurz hinter dem mittleren Burgtor, fast beim Eingang zum Kerker, stellten sie mich.
»Was sollte das eben?«, wütend baute sich Mira vor mir auf, die Arme in die Seite gestemmt.
»Ach so ein blöder Apfel, das interessiert doch niemanden«, ich wollte an der Kriegerin vorbei, doch sie packte mich am Kragen.
»Hör mir gut zu«, ihre Stimme war nun gefährlich leise, »dieser Junge mag zwar ein einfacher Bauer sein. Trotzdem verrichtet er jeden Tag ordentlich seine Arbeit und ernährt dich und mich und alle anderen Krieger. Hörst du mir zu?«, sie schüttelte mich wie eine Katze. Also nickte ich. von Idena hatte ich keine Hilfe zu erwarten, sie sah genauso wütend aus wie Mira.
»Wir sind keine Diebe. Wir verteidigen die Burg, das Land und ihre Bewohner. Zum Ruhm von Scathach …«
»… und unserer Ehre«, ergänzte ich den Spruch, mit dem ich wohl schon auf die Welt gekommen war.
»Eben«, nickte sie grimmig und ließ mich los. »Wenn ich dich noch einmal erwische …«
Ein Signalhorn unterbrach sie.
Mehrere Wachen strömten an uns vorbei. Sofort setzten sich auch Mira und Idena in Bewegung und ich folgte ihnen. Dicht drängelten sich jede Menge Cérn auf dem Wehrgang.
»Das gibt´s nicht – schau!«
»Ist es wahr! Scathach sei Dank! Es ist ein Wunder«, die Stimmen überschlugen sich.
»Was ist los?«, Mira drängelte sich durch, und ließ meine Hand nicht los.
»Setz die Kleine aufs Pferd«, der Krieger am Ausguck strahlte mich an.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich flitzte los, und stürmte in den Stall. Mira folgte mir und wollte ihr Pferd holen.
»Nein, ich nehm sie«, Londo hielt sein Tier schon am Zügel und hob mich in den Sattel.
»Beeilt euch«, grinste Mira.
Aber das musste sie nicht extra sagen. Ich glaube, noch nie ist jemand so schnell die Ahornallee hinunter galoppiert. Die Bäume huschten nur als immer dunkler werdende Schatten an uns vorbei. Ich hielt mich am Sattelknauf fest und kniff die Augen zusammen, um sie nur ja nicht zu verpassen.
Und dann sah ich sie und im ersten Moment glaubte ich, eine Schar Geister vor mir zu haben. Ein Trupp erschöpfter und verletzter Kämpfer schlich die Allee hinauf, allen voran Freyda und Mutter, mit einer Fackel in der Hand.
Ich schrie aus voller Kehle. Londo packte mich fester und schrie ebenfalls.
Das Pferd stand noch nicht einmal still, als ich bereits heruntersprang, dem Vorderhuf auswich und in Mutters Arme sprang.
Sie schrie auf, als ich sie umarmte, aber ließ mich nicht los.
»Vorsicht, Spatz, ein Andenken der verfluchten Ork.«
Immer mehr Cérn fanden sich ein. Viele glückliche Gesichter sah man im Schein der Fackeln, aber auch ein paar traurige Elfen standen herum, Angehörige von Kriegern, die nicht zurückgekehrt waren.
Schließlich ritt ich vor ihr im Sattel in die Burg. Am Stadttor empfing sie Meister Montard.
»Lady D`Elestre«, die Königin, früher selbst Kämpferin, wie ich wusste, lächelte Mutter an. »Schön, dass Ihr den Weg nach Hause gefunden habt.«
Erst jetzt fiel mir auf, wie blass Mutter war. Dunkle Augenringe verdüsterten das hübsche Gesicht.
»Danke, Mylady. Auch ich bin froh, wieder zuhause zu sein.«
»Aber nun solltet Ihr Euch in Behandlung begeben. Ihr alle«, befahl die Königin und macht Platz für die Heiler, die bereits warteten.
»Ich werd wohl ins Haus der Heiler müssen, Spatz. Bleibst du so lange noch bei Londo?«
Panik explodierte in meinem Körper. Ich hatte sie gerade erst wieder, auf keinen Fall würde ich ohne sie den Abend verbringen.
Sie spürte, wie ich ihre Hand umklammerte und lächelte: »Heilerin Ilyria, Ihr bekommt einen weiteren Patienten.«
Die lächelte: »Hm, ich denke, eine Tasse heiße Schokolade wird das einsame Herz sicher wärmen.«
Mit einem Kopfnicken befahl sie einem Helfer, Mutter zu stützen. An den Weg durch die Stadt bis zum Haus der Heiler kann ich mich nicht mehr erinnern, nur dass überall Cérn standen, und die Heimgekehrten glücklich begrüßten.
»Es hat sich entzündet«, Ilyria betrachtete die Wunde, die sich quer über den straffen Bauch von Mutter zog.
»Sieh es dir genau an, es«, befahl Mutter.
Die Heilerin sog scharf die Luft ein. Eigentlich hätte ich gar nicht mitkommen dürfen, sondern hätte vor der Tür warten sollen. Aber Mutter hatte sich, Scathach sei Dank, durchgesetzt.
»Du willst so werden wie ich. Willst du wirklich solche Verletzungen einstecken? Solche Narben behalten?«, die unverletzte linke Hand umklammerte den Holzpfosten des Bettes.
Stumm musterte ich den durchtrainierten Körper. Die meisten Narben kannte ich, wusste, wo sie welche Verletzung hatte einstecken müssen.
»Schlimm sind die Nägel«, mein Kinn deutete auf ihre geschundene rechte Hand. »Wenn ich groß bin, zahl ich´s dem Pisser heim. Seine Scheiße wird ihm die verlausten Beine runterlaufen.«
Die Heilerin hüstelte und Mutter lief rot an.
»Esmanté, du sollst nicht fluchen!«
»Wenn´s doch stimmt«, protestierte ich.
»So«, mischte sich die Heilerin ein. »Für die Hand kann ich nicht viel tun. Ein kühlender Verband wird reichen. Ihr habt Frauenmantel für die Bauchwunde benutzt, nehme ich an?«
»Ja, aber in dem verdammten Lager war nicht viel zu finden. Und die Anderen waren schlimmer verletzt.«
»Also habt Ihr erst nach der Flucht einen Verband gemacht.«
Amüsiert beobachtete ich, wie eine sorgfältig gezupfte Augenbraue nach oben gezogen wurde, während die Heilerin die Wunde säuberte.
Mutters Lippen waren nur noch ein dünner Strich, so sehr bemühte sie sich, still zu sein.
»Matorc hat´s übel erwischt. Wir haben alles versucht, aber es hat nicht geholfen. Scathach hat ihn zu sich geholt.«
Ilyria wies auf die dampfende Tasse, die eine Helferin gerade brachte.
»Trinkt«
»Merk dir das, Spatz: Die großen Blätter des Frauenmantels helfen bei fast allen Wunden. Ich hab dir schon gezeigt, wie es aussieht.«
»Weiß ich doch«, schlürfend nickte ich ihr zu.
»Andererseits, als Hofdame wirst du es wohl nicht brauchen.«
Jetzt prustete die Helferin los, und um den Mund der Heilerin zuckte es verdächtig.
»Verletzungen gehören zum Geschäft«, erwiderte ich und schmiegte mich in ihre Armbeuge.
»Du bist unmöglich, Esmanté d`Elestre«, murmelte Mutter. Der Schmerztrank zeigte seine Wirkung und sie schlief ein.
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