Eine irische Sage?

Eine irische Sage?

Ihr Lieben, heute gibt es ausnahmsweise keine Neuigkeiten aus meiner phantastischen Welt. Denn die letzten zwei Wochen habe ich in Irland verbracht. Ein wunderschönes Land voller Burgen, Ruinen, Steinkreisen und vor allem Sagen. Wie geschaffen für Fantasy begeisterte Autorinnen wie mich 🙂

Unter anderem besuchte ich Blarney Castle, im Folgenden seht ihr ein paar Fotos. Die Hauptattraktion, so behauptet es jedenfalls der Reiseführer, ist der Blarney Stone, dem man unbedingt küssen muss. Unter uns: Ich habe es nicht getan. Mir aber so meine eigenen Gedanken darüber gemacht, wie Blarney Castle zu dem Stein gekommen ist. Hier ist die Geschichte, ich wünsche euch viel Spaß!

Es war einmal eine mächtige Familie mit Namen McCarthy, die am schönen Fluss Lee eine stolze Burg besaß. Vom Wehrgang in 100 Fuß Höhe bot sich ein Blick über die ganze Grafschaft. Ein Park umgab die Burg aus uralten Bäumen, hüfthohen Farnen, geheimnisvollen Höhlen und Wasserfällen. Zwar gab es auch einen Garten, geschützt von mannshohen Mauern. Aber die Diener betraten ihn nur ungern. Denn abgetrennt nur durch eine Weißdornhecke lag versteckt der Giftgarten, einzig einer Frau vorbehalten: Der Hexe Cailleach. Ihr gehörte eine schlichte Hütte im Park, umgeben von Eiben, Birken und Weißdorn. Keiner wusste, wie lange die Hexe bereits hier lebte und die McCarthys hatte nicht gewagt, sie von dort zu vertreiben. Denn sie galt als sehr gefährlich.

Eines Tages ritt der älteste Sohn der Familie, Cormac McCarthy, durch den Park. Es war ein regnerischer, stürmischer Tag kurz vor Samhain. Seine Stimmung glich dem aufgewühlten Wetter. Denn sein Vater war schwer krank und hatte ihm heute kurz mitgeteilt, dass sein jüngerer Bruder die Nachfolge antreten würde. Und das hatte einen guten Grund: Cormac stotterte. Von Geburt an und niemand konnte es heilen.

Jäh wieherte sein Pferd und blieb stehen. Cormac stutzte, eine Stimme rief klagend um Hilfe. Fast hätte er sie nicht gehört, denn der Wind rauschte durch die Bäume, der Regen fiel ohne Unterlass. Wieder ertönte die Stimme. Also trieb er sein Pferd an und folgte dem Hilferuf. Wenig später gelangte er an das Ufer des Lee und sah in dem durch den Sturm aufgewühlten Wasser eine Frau. Panisch schlug sie mit den Armen auf das frostige Wasser, nur mit Mühe gelang es ihr, nicht unterzugehen. Sogar vom Ufer aus bemerkte Cormac, dass ihre Bewegungen immer schwächer wurden. Ohne nachzudenken, glitt er aus dem Sattel, entledigte sich seiner Stiefel und Umhang und sprang in den Fluss. Eisige Kälte umfing ihn und die Wellen spritzten ihm ins Gesicht. Mit kräftigen Zügen schwamm er dorthin, wo er die Frau zuletzt gesehen hatte. Und wirklich! Mit letzter Kraft hielt sie sich über Wasser. Doch Cormac schreckte zurück. Denn erst jetzt bemerkte er die nassen, roten Haare und erkannte Cailleach, die Hexe. Sie war weder jung noch alt. Aus grauen Augen sprachen Schmerz und Erschöpfung. Sie schlotterte in der Kälte. Also erbarmte sich der junge Mann, legte den Arm um sie und schwamm mit ihr zusammen ans Ufer. Er trug sie unter einen Baum, holte die Satteldecke und breitete sie wärmend um sie. Schon wandte er sich ab, sicher, dass sie alleine in ihre Hütte finden würde, da sagte Cailleach: »Ihr habt mich gerettet, Sire. Wenngleich Ihr erkanntet, wer ich bin. Ich möchte Euch zum Dank ein Geheimnis verraten.«

Obwohl sie schlotterte, ihre Lippen blau vor Kälte, setzte sie sich auf und zog die Decke enger um sich.

»Welches Geheimnis willst du mir verraten?«, erwiderte Cormac. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, brauchte er drei Anläufe, um den Satz auszusprechen.

»Geht morgen um Mitternacht auf den Wehrturm Eurer Burg. Allein. Hinter der vierten Zinne kniet nieder und küsst den Stein vor Euch. Es ist einer der Schicksalssteine, ein Splitter aus der Burg der Tuatha de Danain. Er verleiht Euch die Gabe der Redegewandtheit.«

Sie atmete schwer, die Worte hatten sie erschöpft.

Insgeheim war er davon überzeugt, die Hexe hätte ihm einen Bären aufgebunden. Dennoch bedankte er sich und ritt nach Hause. An Samhain gab es ein großes Fest auf der Burg. Jedermann amüsierte sich, bis auf Cormac, mit dem niemand sprechen wollte. Immer wieder kamen ihm die Worte der Hexe in den Sinn. Konnte er ihr trauen? Kurz bevor die Glocke Mitternacht schlug, bemerkte er Cailleach, halb versteckt hinter einem Vorhang stehen. Sie winkte ihn zu sich. Doch als er aus dem Festsaal trat, sah er sie nicht mehr.

»Was habe ich zu verlieren?«, dachte er bei sich. Er stieg die Treppen zum Wehrturm hinauf und öffnete die schmale Tür. Kalter Wind und Graupel schlug ihm entgegen. Binnen kurzem war sein Hemd durchnässt. Gleichzeitig ärgerte er sich, keine Fackel mitgebracht zu haben. In der Finsternis würde er die richtige Zinne sicher nicht finden. Da erschien am Boden ein goldenes Licht. Zögernd folgte er diesem Schimmer, der ihn zur vierten Zinne führte und vor einem unscheinbaren Stein endete.

Cormac sah sich um, nichts fürchtete er mehr, als sich vor allen zu blamieren. Allerdings herrschte finsterste Nacht. Niemand war da.

Also kniete er sich auf den kalten, nassen Steinboden, beugte sich hinab und presste seine Lippen auf den frostigen Stein.

Nichts geschah.

Zur Sicherheit wiederholte er die Prozedur, dann drückte er sich hoch.

Er schalt sich selbst einen Narren und eilte in seine Kammer, um sich umzuziehen.

Drei Tage danach, rief ihn sein Vater zu sich. Eingesunken saß dieser in seinem Amtszimmer und musterte ihn müde.

»Wir haben darüber gesprochen, dass du meine Nachfolge nicht antreten kannst, Cormac. Deshalb schlage ich vor, du schließt dich den Mönchen in Timoleague an. Pack deine Sachen, es wird das Beste für alle sein.«

Der Burgherr wandte sich ab, für ihn war damit die Angelegenheit erledigt.

Cormac spürte, wie Zorn in ihm erwachte. Seine Zunge prickelte, es fühlte sich an, als würde Eis in seinem Mund schmelzen.

»Es tut mir leid, Ihnen widersprechen zu müssen, Vater. Aber ich bin Euer ältester Sohn. Mir steht die Nachfolge zu. Ich werde nicht ins Kloster eintreten.«

Noch nie in seinem Leben hatte er so viele Sätze hintereinander fehlerfrei gesprochen. Unbändige Freude überkam ihn.

Vor Verblüffung blieb dem Vater der Mund offen. Er blickte seinen Sohn an, als sähe er ihn zum ersten Mal.

»Du sprichst ohne zu stottern«, brachte er schließlich hervor.

»So ist es.« Würdevoll deutete Cormac eine Verbeugung an, wie es der Sohn dem Vater schuldete.

»Nun, das ändert alles. Natürlich wirst du der nächste Burgherr von Blarney Castle.«

Und so geschah es. Als eine der ersten Amtshandlungen ließ Cormac der Hexe im Park ein festes Steinhaus bauen, in dem sie fortan lebte und wirkte. Denn wenn jemand krank wurde, musste man nur nach Cailleach schicken, mithilfe der Kräuter aus ihrem Garten half sie vielen Menschen auf Blarney Castle.

Ich hoffe, meine Version der Sage um den Blarney Stone hat euch gefallen. Nun wünsche ich allen schöne Stunden, egal wo ihr dieses Jahr den Urlaub verbringt. Vielleicht habt ihr auch die ein oder andere magische Begegnung!

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